Im Interview mit Anja erklärt Dr. Michaela Axt-Gadermann, ob Probiotika die Infektanfälligkeit bei Kindern beeinflussen kann.

Anja: Halsschmerzen, Bauchschmerzen, Fieber und Husten. Für Familien mit kleinen Kindern gehört das zum Alltag. Wie viele Infekte bei Kindern im Jahr sind denn normal und wann müssen sich Eltern sorgen machen?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Viele Eltern haben das Gefühl, dass ihre Kinder ständig krank sind. Und dieses Gefühl ist oftmals durchaus richtig, denn zehn bis zwölf Infektionen pro Jahr gelten bei Säuglingen und Kleinkindern noch als normal. Das ist zwar auf der einen Seite eine Beruhigung für besorgte Eltern, aber natürlich sind die vielen Krankheitsepisoden belastend für alle Beteiligten und für Eltern bedeutet das auch immer wieder ungeplante Ausfälle im Job oder Umplanungen bei der Kinderbetreuung.

Anja: Warum sind kleine Kinder so oft krank?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Das Immunsystem kleiner Kinder ist noch „unerfahren“. Die Infekte bei Kindern sind ein Zeichen dafür, dass sich die Abwehrkräfte mit verschiedenen Keimen auseinandersetzen. Das ist durchaus gut, denn so wird das Immunsystem trainiert und auf Dauer gestärkt. Mit zunehmendem Alter nimmt die Infektanfälligkeit bei Kindern dann meistens ab. Zunächst sind Infekte bei Kindern also nichts Dramatisches. Sind aber bei kleinen Kindern dauerhaft die Mandeln vergrößert oder ist die Nase ständig verstopft, dann können Schlafstörungen und Müdigkeit am Tag sich durchaus vorübergehend negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirken.

Infektanfälligkeit bei Kindern - Was können Eltern tun?

Anja: Können Eltern etwas tun, um die Abwehrkräfte der Kinder zu stärken?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Im Prinzip helfen Kindern die gleichen Maßnahmen wie auch uns Erwachsenen, also viel Bewegung im Freien, eine ausgewogene Ernährung mit genügend Vitaminen und Spurenelementen. Nicht vermeiden lässt sich aber, dass Kinder in ihrem Umfeld, also in der Kita oder in der Schule natürlich täglich mit vielen anderen, ebenfalls infektanfälligen Kindern Kontakt haben. Dadurch werden Infekte bei Kindern, wie zum Beispiel Erkältungen, leicht weitergegeben.

Anja: Ist es denn nicht schädlich für die Kinder, wenn sie so viele Keimkontakte haben?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Nein, in der Regel ist das sogar gut, denn durch das Training des Immunsystems wird auch ein gewisser Schutz gegenüber Allergien und Autoimmunerkrankungen aufgebaut und somit die Infektanfälligkeit bei Kindern reduziert. Aus Studien weiß man, dass Kinder, die im frühen Alter mit vielen, wenig gefährlichen Keimen in Berührung kommen, zum Beispiel seltener auf Pollen, Hausstaub und Tierhaare allergisch werden.

Infekte bei Kindern - Welche Rolle spielt der Darm?

Anja: Lässt sich das Immunsystem auch auf andere Weise trainieren, um die Infektanfälligkeit bei Kindern reduzieren zu können? Aktuell kommen Kinder und Erwachsene ja deutlich weniger mit Keimen in Kontakt, denn die Corona-Schutzmaßnahmen halten uns ja auch diese fern.

Dr. Michaela Axt-Gadermann: 70 Prozent unserer Abwehrzellen befinden sich im Darm und treten dort in Kontakt mit den Bakterien der Darmflora. Studien zeigen recht deutlich, dass sich das Immunsystem sehr gut über den Darm stimulieren lässt und dass auch probiotische Bakterien gute „Trainingspartner“ für unsere Abwehrkräfte sein können. Kinder, denen einige Wochen oder Monate verschiedene Milchsäurebakterien und Bifidobakterien verabreicht wurden, hatten seltener Durchfallerkrankungen und Bauchschmerzen, als Gleichaltrige, die in Studien nur ein Plazebo erhielten. Auch die Häufigkeit von Infekten bei Kindern, wie zum Beispiel Husten, Schnupfen und Halsschmerzen, ließ sich durch probiotische Bakterien deutlich senken. Weitere Analysen zeigen, dass sich die Verbesserung der Abwehrkräfte auch an bestimmten Blutwerten ablesen lässt, also dass verschiedene Abwehrzellen sich vermehren und Entzündungswerte zurückgehen, wenn Probiotika verabreicht wurden.

Infekte bei Kindern - Welche Rolle spielen Probiotika und Antibiotika?

Anja: Wann sollte ich die Probiotika nehmen? Wenn sich Infekte bei Kindern äußern oder besser vorbeugend?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Hier geht die Empfehlung ganz klar in Richtung Vorbeugung. Das Darmmikrobiom benötigt etwas Zeit, um sich in eine positive Richtung zu verändern. Auch die Abwehrzellen im Darm müssen erst aktiviert und trainiert werden. In Studien wurden probiotische Bakterienmischungen deshalb meistens mehrere Monate verabreicht. Nach einiger Zeit ließ sich dann in vielen Fällen ein signifikanter, d. h. deutlich messbarer Rückgang der Infekte bei Kindern feststellen.

Anja: Wie sieht es denn mit Antibiotikagabe aus? Durch die vielen Infekte müssen Kinder ja auch sehr häufig Antibiotika einnehmen

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Ja, bis zu ihrem zweiten Geburtstag haben Kinder hierzulande durchschnittlich zwei bis drei Antibiotikatherapien hinter sich. Antibiotika sind bei Kindern oft, aber nicht immer notwendig, um Infekte zu behandeln. Antibiotika bringen die noch instabile Darmflora der Kinder leider ziemlich durcheinander. In jedem Fall sollte deshalb mit dem Kinderarzt besprochen werden, ob man sofort das Antibiotikum geben muss oder auch noch mal ein, zwei Tage abwarten kann. Ich bin kein Antibiotikagegner, rate aber dazu, es nicht zu früh einzusetzen.

Anja: Welche Nebenwirkungen haben Antibiotika auf Dauer für die Kinder? Gibt es dazu Informationen?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Dazu gibt es tatsächlich Daten. Frühere Untersuchungen haben bereits eindeutig zeigen können, dass häufige Antibiotikagaben sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen das Risiko für Übergewicht stark erhöhen. Antibiotikagaben in den ersten Lebensjahren scheinen besonders problematisch zu sein, denn sie beeinflussen die Zusammensetzung der Darmflora nachhaltig. Auch Allergien treten häufiger auf, wenn mehrmals Antibiotika eingenommen werden mussten. Das hat die niederländische Wissenschaftlerin Fariba Ahmadizar von der Universität Utrecht herausgefunden. Sie und ihr Team werten zahlreiche Studien, die die Daten von insgesamt 400.000 Personen umfassten, aus. Das Ergebnis zeigt: Kinder, die in den ersten beiden Lebensjahren mindestens einmal Antibiotika erhielten, erkrankten später deutlich häufiger an Allergien. Das Heuschnupfenrisiko stieg um rund 50 Prozent an, die Wahrscheinlichkeit, Neurodermitis und Ekzeme zu bekommen, lag um rund 40 Prozent höher und auch Asthma wurde öfters diagnostiziert, wenn Antibiotika verabreicht wurden – je häufiger, desto wahrscheinlicher. Die Forscher sehen einen Hauptgrund in einer Veränderung der Darmflora durch diese Medikamente.

Anja: Kann ich etwas tun, um die Darmflora nach Antibiotikatherapie wieder aufzubauen?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Die Darmflora von Kleinkindern braucht Monate, manchmal Jahre, um sich von selbst wieder zu regenerieren. Werden jedoch in jungen Jahren gleich mehrere Antibiotikatherapien verabreicht, fehlt dem Mikrobiom die Zeit, sich zu erholen. Auch zwei Jahren nach der Antibiotikagabe ist dann der ursprüngliche Zustand der Keimzusammensetzung noch nicht vollständig wiederhergestellt. Antibiotika töten ja nicht nur die krankmachenden Keime, sondern auch die notwendigen Bakterien im Darm und auf der Haut. Wenn eine Antibiose unumgänglich ist, sollten zusätzlich probiotische Bakterien eingenommen werden. Studien zeigen, dass es mit probiotischen Bakterien sehr viel seltener zu Bauchschmerzen und Durchfällen während der Antibiotikaeinnahme kommt. Wichtig ist, dass man mit der Probiotikaeinnahme am besten gleichzeitig mit dem Antibiotikum beginnt. Und die Untersuchungen belegen auch, dass hier offensichtlich gilt: „Viel hilft viel“. 5 Milliarden probiotische Bakterien (oder auch mehr) pro Tagesdosis hatten deutlich bessere Effekte, als niedrig dosierte Präparate.

Anja: Wie lange sollte man die Einnahme fortsetzen?

Dr. Michaela Axt-Gadermann: Um Darmprobleme und Durchfall durch Antibiotika vorzubeugen, reicht es aus, ein Probiotikum während der Antibiotikatherapie und ein bis zwei Wochen danach zu nehmen. Allerdings gleicht das die Schäden am Mikrobiom nicht völlig aus. Deshalb ist es sehr wichtig, sich auch anschließend gut um das Mikrobiom zu kümmern, also sehr ballaststoffreich zu essen, evtl. bestimmte präbiotische Ballaststoffe wie resistente Stärke, Akazienfasern, Pektin, Flohsamen oder Inulin auch als Nahrungsergänzung zuzuführen. Präbiotische Ballaststoffe stärken auch die Bakterien im Darm, die wir nicht direkt durch Probiotika zuführen können. Sie sind quasi Bakterienfutter und unterstützen die Regeneration der Darmflora.


***Dr. Michaela Axt-Gadermann im Interview mit Anja. Das Interview hat am 01.03.2022 stattgefunden.***

Quellen & zum Weiterlesen

Ahmadizar, F., Vijverberg, S. J. H., Arets, H. G., de Boer, A., Lang, J. E., Garssen, J., Kraneveld, A. & Maitland-van Der Zee, A. H. (2016). Early life antibiotic exposure is associated with an increased risk of allergy. 5.3 Allergy and Immunology. https://doi.org/10.1183/13993003.congress-2016.pa3639

Blaabjerg, S., Artzi, D. & Aabenhus, R. (2017). Probiotics for the Prevention of Antibiotic-Associated Diarrhea in Outpatients—A Systematic Review and Meta-Analysis. Antibiotics, 6(4), 21. https://doi.org/10.3390/antibiotics6040021

Guo, Q., Goldenberg, J. Z., Humphrey, C., El Dib, R., & Johnston, B. C. (2019). Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhea. The Cochrane database of systematic reviews, 4(4), CD004827. https://doi.org/10.1002/14651858.CD004827.pub5